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Hompage Dorothea Siwik



Kriegsende und Vertreibung der Bevölkerung aus den Ostgebieten

 

Im September 1944 hatten die Alliierten Frankreich befreit und drangen nach Deutschland vor.

Auch im Osten wurde die deutsche Armee unaufhaltsam zurückgedrängt. Viele Menschen hatten nach der Evakuierung Unterkunft in der von Deutschland besetzten Tschechoslowakei (heute Tschechien) gefunden. Für sie und die dort ansässige deutsche Bevölkerung begann die Flucht vor der Front erneut.

 

Meine Großmutter berichtet weiter:

`...Die Front näherte sich Teplitz. Wir  wurden von einem deutschen Lkw-Konvoi mitgenommen. Bei der tschechischen Stadt Kommotau wurde der Konvoi von einem Waldrand aus beschossen. Wir mussten uns zu unserem Schutz auf den Boden des Lkw legen. Die Soldaten schossen über die Seitenwand des Lkw hinweg zurück. Ich stand auf, ich wollte vom Wagen herunter. Eine Hand griff nach mir und riss mich zu Boden. Etwas fiel schwer über mich. Meine Mutter erzählte mir später, ein Soldat habe mich zurückgerissen und sei dabei selbst von einer Kugel getroffen worden.

Das Schießen hörte auf. Diesmal hinderte mich niemand am Aufstehen. Über die Wiese kamen vom Wald her drei Menschen gelaufen. Der mittlere schwenkte an einem Ast ein weißes Tuch! Ich hörte drei Schüsse: Die Menschen auf der Wiese fielen um. Aus dem Wald brachen Panzer hervor. Sie rollten auf uns zu, aber sie schossen nicht. Die deutschen Soldaten sprangen von den Lkw, warfen ihre Gewehre weg und hoben die Hände. Nach einer Weile erschien ein Soldat in einer mir unbekannten Uniform bei unserem Lkw und wir mussten aussteigen.

Die fremden Soldaten zerrten einen Mann in deutscher Uniform vor unsere Gruppe. Einer der  fremden Soldaten hob eine Pistole und erschoss ihn. Der deutsche Offizier hatte den Schießbefehl auf die drei Parlamentäre gegeben.

Die Frauen und Kinder wurden in den großen Saal eines Wirtshauses gebracht. Die russischen Soldaten durchsuchten alle nach Wertsachen. Meine Schwester saß auf dem Schoß meiner Mutter. Ein Soldat kam auf uns zu, zog seine Pistole und setzte sie meiner Schwester an den Kopf. Andere Soldaten rissen den Soldaten mit der Pistole von meiner Schwester weg. Seine Frau und  seine Kinder seien in Kiew von Deutschen erschossen worden, habe einer der Soldaten in gebrochenem Deutsch zu ihr gesagt, erzählte meine Mutter mir später.

Gegen Abend erschien eine alte Frau im Saal. Sie bot Frauen mit Kindern eine Übernachtung an. Nachts erwachte ich davon, dass meine Mutter sich verzweifelt gegen jemand wehrte, der sich auf ihr bewegte und ihr den Mund zuhielt. Die Frau, die uns scheinbar so freundlich Unterkunft angeboten hatte, war für die russischen Offiziere, die in ihrem Haus ihr Quartier aufgeschlagen hatten, auf  "Frauenfang" ausgegangen und hatte sich dadurch die eigene Sicherheit erkauft!! Meine Mutter hat diese Vergewaltigung  nie verwunden und erst Jahrzehnte später darüber sprechen können.

 

Von Kommotau aus liefen wir zu Fuß nach Hause zurück. Liegnitz war furchtbar verwüstet: brandgeschwärzte Ruinen mit ihrem typischen Geruch, auf den Straßen verstreute Gebrauchsgegenstände aller Art, Trümmerberge und auf dem Rathausplatz Papier, Papier, Papier. In der Stadt herrschte eine ungewohnte Stille: keine Autos, keine Straßenbahn, keine Menschen!

Die Hauptgeschäftsstraße war ausgebrannt. Die polnischen und ukrainischen Zwangsarbeiter hatten nach ihrer Befreiung die Akten aus den Fenstern des Rathauses geworfen und die Geschäftshäuser in Brand gesteckt.

Die besondere Tragödie dieser Brandstiftung lag darin. dass die meisten Geschäfte ehemals jüdischen Geschäftsleuten gehört hatten, die von den Nationalsozialisten in die Gaskammern geschickt worden waren.

In unserer Wohnung bedeckten Textilien, Bücher, zerbrochenes Geschirr, zerbrochenes Mobiliar den Fußboden. Das alles war vermischt mit Bettfedern aus sämtlichen Betten, Urin und Exkrementen. Ein unbeschreiblicher Gestank lag in der Luft.

Meine Schwester und ich erkrankten wenige Tage nach unserer Rückkehr an Ruhr. Es gab weder einen Arzt noch Medikamente. 24 Stunden nach Ausbruch der Krankheit war meine Schwester tot. Ich selbst  kam mit dem Leben davon.

Meine Mutter - unterstützt von einer Bekannten und deren Vater - trug meine Schwester, eingewickelt in eine Decke, auf  den Friedhof, wo sie sie in Hast und Eile verscharrten, denn es war gefährlich für Frauen, sich auf der Straße zu zeigen. Es durchstreiften versprengte russische Einheiten die Gegend....`

 

Vertreibung  aus der Heimat

bei Kriegsende lebten in östlichen Gebieten und Ländern  17.000.000 Deutsche

in den Oder-Neiße-Gebieten9.575.000
in der Tschechoslowakei3.477.000
in den Baltischen Staaten
250.000
in Danzig
380.000
in Polen1.371.000
in Ungarn
623.000
in Jugoslawien537.000
in Rumänien786.000

 

Es kamen nach Kriegsende innerhalb weniger Monate nach Deutschland durch Flucht und Vertreibung

11.730.000

es kamen dabei ums Leben2.625.000
es verblieben in den östlichen Gebieten2.645.000


Wenn ein Staat einen Krieg verliert, entscheiden die Sieger über sein Schicksal.

Die Sieger beschlossen auf der Potsdamer Konferenz,

dass die deutschen Ostgebiete an Polen angeschlossen werden sollten.

Kein östliches Land wollte Deutsche bei sich wohnen haben.

Sie wurden alle nach Deutschland ausgewiesen, ohne etwas mitnehmen zu dürfen.

Trotzdem nannte man das Umsiedlung

. Richtiger wäre Vertreibung, denn es war bei Strafe verboten, Eigentum mitzunehmen, außer etwas Handgepäck!

 

 Meine Großmutter berichtet im zweiten Teil ihrer Erinnerungen von den Schrecken dieser Vertreibung:

`...Eines Tages erhielten alle noch vorhandenen Einwohner von Liegnitz den Befehl, binnen 24 Stunden die Stadt zu verlassen. Das war drei Wochen nach unserer Wiederankunft in Liegnitz.

Meine Mutter nahm mich auf den Rücken, eingebunden in das geflickte Federbett. In der Einkaufstasche trug sie ihre Papiere und ein wenig Unterwäsche.

 

Diesmal zog der Treck unter berittener polnischer Bewachung zu Fuß in Richtung Görlitz.

Übernachtet wurde unter freiem Himmel auf Feldern. Ein paar alte Männer, als Frauen verkleidet (auch die alten Männer waren in Gefahr, als "Nazis" erschossen zu werden) bauten manchmal schützende Hütten aus "Schneereitern".

Im Straßengraben lagen immer wieder tote alte Leute und kleine Kinder. Eines Morgens waren die berittenen Polen fort. Der Treck zog in kleinen Gruppen weiter.

Einmal verschaffte uns ein Mann Plätze auf einem offenen Güterwagen. Er war schon voll besetzt mit Menschen. "Nicht sprechen! Es sind Polen; sie d�rfen nicht wissen, dass ihr Deutsche seid," sagte er.

Ich muss aber, während der Zug fuhr, doch etwas zu meiner Mutter  gesagt haben, denn wir bekamen auf einmal von überall St�öße. Das war nicht ungefährlich, weil der Güterwagen keine Wände hatte. Wir saßen mit baumelnden Beinen am Rande der Ladefläche. Als der Zug einmal anhielt, krochen wir eilig von der Wagenfläche.

Irgendwie kamen wir in Görlitz an. Dort wusste niemand mit den vielen Vertriebenen etwas anzufangen. In einer Nacht wollte meine Mutter mit mir in die Neiße springen.

"Darf man das denn?" soll ich sie gefragt haben. Diese kindliche Verwunderung habe sie zur Besinnung gebracht, sagte meine Mutter später.

Von Görlitz wurden wir zu Fuß nach Cottbus geschickt. Züge fuhren nicht. In Cottbus fanden die Freundinnen meiner Mutter Unterkunft bei einer Verwandten. Wir zogen allein weiter, irgendwohin. Einmal kam uns eine kleine Gruppe sonderbarer Menschen entgegen.

Sie hatten "Schlafanzüge" an, bewegten sich sehr langsam und sahen aus wie der Tod in meinem Märchenbuch. Meine Mutter zog mich ängstlich zur Seite. Einer der sonderbaren Menschen streckte mir die Hand entgegen. Auf der offenen Handfläche lag ein kleines Stück Brot. "Iß! Du musst wachsen," sagte der Mann.

Noch bevor meine Mutter etwas sagen konnte, hatte ich das Brot in der Hand und kaute.


Das war meine Begegnung mit einem KZ-Häftling, der überlebt hatte! -

Ich wurde immer schwächer und konnte nicht mehr laufen. Meine Mutter tauschte bei einem Bauern eine Spitzendecke gegen einen hochrädrigen Kinderwagen aus der Zeit um 1900

Darin lag ich und ließ die Beine heraushängen.

Im Sorbischen nahm uns ein Bauernehepaar ein paar Tage bei sich auf. Ihr Sohn war im Krieg gefallen und sie hätten uns gern behalten. Der sorbische Bürgermeister des Dorfes erlaubte es aber nicht, weil wir Deutsche waren.

Der Sommer 1945 war heiß. Der Asphalt schmolz unter den nackten Füßen, wir hatten nichts zu essen und kauten Sauerampfer. Hin und wieder versuchten wir zu betteln, aber weder meine Mutter noch ich konnten es besonders gut.

Schließlich trafen wir wieder in Cottbus ein, suchten unsere Bekannten und erfuhren, dass sie in einer anderen Stadt untergekommen waren. Auf dem Meldeamt gab man uns einen "Marschbefehl" nach Teltow.

Auf diesem Teil des Weges kamen wir durch viele Wälder. Sie waren zerschossen oder abgebrannt. Mit uns zogen andere Vertriebene oder sie kamen uns wieder entgegen.

Niemand wollte uns, niemand brauchte uns.

Die Bauern jagten uns davon, wenn wir um ein Nachtlager in der Scheune baten. Sie riefen "Lumpenpack! Geht hin, wo ihr hergekommen seid!" und hetzten die Hunde auf uns. Es war auch nicht gut, allein zu "trecken". Immer wieder wurden wir von plündernden russischen Soldaten belästigt.

Eine g u t e Erinnerung habe ich noch: Uns zog ein singender Trupp russischer Soldaten entgegen. Es gab keine Möglichkeit auszuweichen. Ein Soldat, der dicht an mir vorbeimarschierte, bückte sich, drückte mir etwas in die Hand und legte den Finger an die Lippen. Was ich in der Hand hielt, fühlte sich glitschig an: "Speck!" sagte meine Mutter.

In einer kleinen Stadt stiegen wir in einen Güterzug!

"Der fährt aber nur bis Falkenberg", sagte ein Eisenbahner. Falkenberg!  Ich erinnerte mich: Da wohnten doch jetzt unsere Freunde aus Liegnitz! Ich hatte sogar den Namen der Ärztin behalten, bei der sie untergekommen waren.

Der Eisenbahner war aus Falkenberg, er kannte die Ärztin und beschrieb uns den Weg. Wir krochen über die Schutthalden des zerstörten Falkenberger Bahnhofs, ein Rad des Kinderwagens bekam dabei eine Acht. Trotz Dunkelheit fand ich den beschriebenen Weg und brachte meine Mutter sicher an das Ende unserer Wanderung.

Wir waren 10 Wochen auf deutschen Straßen umhergeirrt! ... `

 

So wurden die Leute aus dem Osten umgesiedelt (Archivbild)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


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